Tai Chi im Alltag
copyright: Helmut Schubert. H. Schubert schrieb 1996 in "Esoterik
Heute":
"Wer Tai Chi übt, wird stark wie ein Holzfäller, gelassen wie ein Weiser und
geschmeidig wie ein Kind." - "
Ich komme abgespannt, hektisch und müde ins Tai Chi- Zentrum und gehe
erfrischt, angenehm warm und in mir ruhend heraus."
Beim ersten Ausspruch handelt es sich um ein altes chinesisches Sprichwort,
die andere Aussage hören Tai Chi- Lehrer von ihren Schülern.
Durch seine ruhigen, fließenden Bewegungen führt uns die chinesische
Bewegungslehre Tai Chi Chuan aus der Hektik des Alltags zurück in unsere
Mitte.
Diese Form der Selbstbesinnung schafft einen lebensnotwendigen Gegenpol
zu Schnellebigkeit und Technisierung.
Was also ist Tai Chi?
Tai Chi Chuan ist eine Bewegungslehre zur Förderung und Steigerung des
Körpergefühls, auf der Grundlage des im chinesischen Volk seit
Jahrtausenden verankerten Wissens um die Körperenergien.
Das Körperbild der chinesischen Kultur kennt Energiebahnen (Meridiane), die
mit "Chi", dem Fluß der Lebensenergie, in Verbindung gebracht werden.
Während der embryonalen Entwicklung sind alle Meridiane offen und von Chi
durchflossen.
Das Baby hat eine vollkommene Bauchatmung und ein natürliches Zentrum.
Seine Bewegungen sind rund und viele sehr weit und raumgreifend. In dieser
Zeit verfügt es über ungeheure Energien, ist lernbegierig, allem gegenüber
aufgeschlossen und bei jedermann aufgrund seiner liebevollen Ausstrahlung
beliebt.
Im Verlauf des Lebens beginnt der Chi- Fluß aufgrund von falscher
Ernährung und Bewegungsmangel in Verbindung mit Alltagsstreß zu
stagnieren. Körperliches und seelisches Unwohlsein sind die
unausbleiblichen Folgen.
Die Bewegungen werden gerader und härter, sie sind zweckmäßig an den
Alltag angepaßt. Der Atem wird psychosomatisch bedingt flacher, die
Durchblutung wird geringer, der Mensch anfälliger gegenüber Krankheiten,
die Anforderungen, die das Leben an ihn stellt, erdrücken ihn oft.
"Hol doch einmal tief Luft", sagen wir zu jemand, der nicht weiter weiß, und
haben selber oft schon die Erfahrung gemacht, wie erfrischend ein
Spaziergang an frischer Luft auf Körper und Geist wirkt.
Dieser angenehme Ausweg aus Überspannung und Erschöpfung vereinigt
viel regenierende Aspekte: Bewegung, tiefere Atmung, Entspannung des
Geistes durch die Betrachtung der Natur.
Der Körper hungert nach diesen Dingen genauso wie nach Nahrung.
Besonders in der heutigen Zeit, die durch Schnellebigkeit und Technik
geprägt ist, kommt der Organismus zu kurz. Die Wirkungen des Tai Chi sind
wie ein Spaziergang an frischer Luft.
Durch die weichen, fließenden Bewegungen wird die Atmung tiefer und die
Gelenke und Nervenenden werden gut durchblutet. Durch die Langsamkeit
entwickelt sich die Muskulatur.
Da der Geist auf die Bewegung gerichtet ist, wird er ruhig und weit, die
Meridianverläufe werden reaktiviert und durchlässig gemacht.
Tai Chi besteht aber nicht nur aus der Bewegung, sondern es kommen die
taoistische Meditation, die Selbst massage und das meditative Stehen (Chi
Kung) hinzu.
Auf diese Weise entsteht das Übungsprogramm, welches die Entwicklung
des Säuglings vom Liegen über das Sitzen und das Gleichgewicht suchende
Stehen bis hin zu den ersten Schritten nachvollzieht.
Mit einem natürlichen und gleichen Zentrum übt sich der Säugling im
Gebrauch seiner Extremitäten. Der Erwachsene findet durch die richtige
Bewegung zu seinem Zentrum zurück. So schließt sich der Kreis.
Die Kraft des Babys, seine Offenheit und Lebenslust dem Leben und allem
Gegenüber paaren sich mit der Weisheit und Reife des Erwachsenen.
Durch tägliches Üben der Form werden also verschüttete Energiestraßen
(Meridiane) wieder aktiviert und das Zentrum des Menschen (der Tan Tien)
gekräftigt, was zu größerem Wohlbefinden und innerer Geborgenheit führt.
Yin und Yang
sind zwei wesentliche Begriffe im Tai Chi und stehen grundsätzlich für zwei
Gegenpole. Sie bedeuten auch Spannen und Lösen. Im Westen kennen wir
mehr das Spannen. Sich zusammennehmen oder gar zusammenreißen, sich
nicht hängen lassen, seinem Mann stehen - diese Ausdrücke als Grundlagen
gesellschaftlichen Vorankommens zeugen von einem Typus Mensch, der
Entspannung nicht genießen kann, aus Angst, etwas zu versäumen oder
schlimmer, den Ansprüchen nicht zu genügen.
Durch tägliches Üben der Form werden verschüttete Energiestraßen
(Meridiane) wieder aktiviert und das Zentrum des Menschen (der Tan Tien)
gekräftigt, was zu größerem Wohlbefinden und innerer Geborgenheit führt.
Erst die Krankheit führt zu einer erlaubten und sogar unterstützten Yin-
Erfahrung, denn im Krankenstand muß sich niemand "zusammenreißen" und
jeder hat Verständnis für den Patienten.
Daß es aber auch eine Form des Loslassens gibt, die aus sich neue Kraft
gebiert und "sich-hängen-lassen" auch in einer positiven Weise möglich ist,
müssen wir erst lernen und erfahren.
Im Gegensatz zur vielleicht gefürchteten Laschheit entsteht durch richtige
Haltung aus der Entspannung eine sanfte Kraft, die eher dem Wasser oder
Wind vergleichbar ist. Beide sind sehr sanft oder weich, gebündelt jedoch
Naturgewalten.
Die Yin-Erfahrung, wie aus der Tiefe der Entspannung eine neue elementare
Kraft hervorsprudelt, und die Yang-Erfahrung, wie diese Kraft dann im Alltag
eingebracht werden kann, sind wesentliche Bestandteile der Tai Chi-Übung
im Alltag.
Mehr als bloße Theorie
Die sanfte Kraft im Tai Chi bleibt aber keine Theorie, sondern sie läßt sich
nach außen hin nachweisen. Letzteres ist sehr wichtig, weil auf diese Weise
die Haltung und Bewegung des Schülers überprüft werden kann.
In den rechten Genuß an seiner Bewegung kommt der Übende ja erst, wenn
er weiß und vor allen Dingen spürt, warum die Bewegung so geht und nicht
anders.
Durch diese Art der Chi-Überprüfung (mit einer Unze tausend Unzen
Bewegen) unterscheidet sich der authentische Yang-Stil von anderen,
vereinfachten Tai Chi-Formen.
Diese Verfeinerungsstufe (es gibt insgesamt sechs), bei der die Bewegungen
Kreis- und spiralförmig ausgeführt werden, nennt man Chi-Form. Sie ist der
Schlüssel zur Chi-Entwicklung. Der Chi-Fluß wird durch den Chi-Test
beweisbar.
Kraft aus dem Inneren
Wie eine Membranpumpe Wasser anzieht, zieht die richtige Bewegung Chi
aus dem Zentrum, dem Tan Tien.
Er liegt ca. drei Fingerbreit unterhalb des Nabels und wird als das
Energiezentrum des Menschen bezeichnet. Auf diese Weise wird das
Meridiansystem gekräftigt, die ständigen Chi-Impulse entwickeln das
Kraftzentrum im Unterbauch.
Das wachsende Verständnis der eigenen Energien ist ein wunderbares
Geschenk. In diesem Sinne ist Tai Chi Chuan eine Investition in die Zukunft,
die den Übenden in ein reiferes Verhältnis zu sich und zu seiner Umwelt
hineinführt.
Entwicklung des Tai Chi`s
Historisch gesehen ist der authentische Yang-Stil die ursprüngliche Form, wie
sie von Meister Yang Lu Chan entwickelt wurde. Um Mißbrauch zu
verhindern, unterrichteten die Meister nach außen hin eine vereinfachte Form
und gaben die geheimen Aspekte und die inneren Prinzipien der Bewegung
nur an Familienangehörige, Freunde und wenige Meisterschüler weiter.
Sie waren also nicht ohne weiteres für jeden zugänglich. Erst durch Meister
Yang Chou Chung wurde 1953 die Familientradition geöffnet.
Um sich gegen die in den vergangenen Jahrzehnten gebildeten Nebenlinien
abzugrenzen, gab er dem Familienstil den Beinamen "Authentischer Yang
Stil" und gründete zu seiner Verbreitung die International Tai Chi Chuan
Association, ITCCA.
Die Leiter der ITCCA in Österreich, Dipl. Ing. Helmut Schubert und Monika
Gredler, sind wie alle Lehrer der International Tai Chi Chuan Association
[Belgien, Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, Schweiz] direkte
Schüler von Meister King Hung Chu, dem während 26 Jahren intensivem
Kontakt zu Meister Yang Shou Chung die geheimen Aspekte des
authentischen Yang Stils lückenlos weitergegeben wurden.
Nachsatz:
seit April 2014 unterrichten Helmut Schubert und Monika Gredler, in ihrer
eigenen Organisation Internal Tai Chi Chuan Austria.
copyright 1995 - 2024 Helmut Schubert